Make the secrets productive -
Reden mit Schweigen im Werk von Joseph Beuys

©  2001 by  Michael Kröger / Stiftung Museum Schloss Moyland / Osnabrück
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Ich wollte über Plastik nachdenken, und was es heißt, wenn man davon spricht

Joseph Beuys um 1970, zit. n. 
Manuela Göhner, Rhetorische Ästhetik des
Gesamtkunstwerks: Joseph Beuys.  S. 79

ich wäre zusammengebrochen
so gäbe es doch eine
Auferstehung durch die Sprache
ich müsste sie sprechen und
dadurch würden nach u. nach
Begriffe mit den begriffen ein
Denken und mit dem Denken
ein Bewußtsein entstehen.“

Joseph Beuys, 1985, zit. nach  Eva Beuys,
Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle,
Texte 1941 - 1986. München 2000, S. 23

In der jüngeren Literatur zum Werk von Joseph Beuys ist neben einer Hinwendung zu speziellen Fragestellungen neuerdings zu beobachten, dass die von Beuys vielfach in Szene gesetzte ´Realpräsenz´ als Schamane, Heiler, Redner und als permanent tätiger „Sender“ seines  erweiterten Kunstbegriffs kritischer als früher untersucht wird; inzwischen richtet sich der Blick der neueren Beuys-Forschung vor allem auf die medialen Vermittlungsweisen, mit denen Beuys in seiner Zeit und Kunst zu agieren pflegte. So wie Beuys seine Intentionen  in vielfältigsten Weise „vermittelte“, prägt nun auch die Forschung zunehmend das Bild eines Künstler-Vermittlers. Dass diese „Vermittlungen“ inzwischen bis in die alltäglichen Dimensionen eines ästhetischen Sprechens mit (der) Kunst - vor allem aber auch eines Schweigens  - verfolgt werden können, soll im folgenden dargestellt werden.

Filzgefütterte Worte“ - das Redenkönnen des Joseph Beuys

Man gewinnt heute den Eindruck, dass die Mehrzahl der frühen, für Beuys typischen Topoi, Figurationen, Leitbilder und Urformen (etwa die Symbolik des Ur-Schlittens, die Geburts- und Leidensfigurationen von Tieren und Frauen, die Denk-Bilder der Fettecke und Eurasien, die diversen Speicherelemente und Fonds, die Sprache des Braunkreuz, das Motiv der Doppelelemente) auch dadurch motiviert sind, indem der Künstler ein weitreichendes Netz von Beziehungen errichtete, das vor allem denjenigen eingänglich ist, die mit den Denk- und Sprechweisen, Substanzen sowie „Arbeitstechniken“ des Künstlers vertraut und bereit sind, sich auf seine individuelle Kunst-Sprache einzulassen. Hierbei spielt letztlich auch, wie Manuela Göhner jüngst dargestellt hat, die Künstlerrhetorik, das buchstäblich kunstbezogene Redenkönnen[1] des Künstlers eine Rolle, die erst heute zur Kenntnis genommen wird. Das Werk und die Person von Beuys sind jedoch nicht als bloße exempla angewandter ästhetischer Rhetorik eines Gesamtkunstwerks zu reduzieren, wie dies teilweise etwas einseitig in Manuela Göhners Arbeit unterstellt wird. Beuys´ Reden war auch ein Werk gewordenes Darstellen,  eine „monotone, graue, warmherzige Skulptur; er spricht mit filzgefütterten Worten“ charakterisierte Alain Borer  in seinem pointiert formulierten Kommentar zu  Joseph Beuys - Ein Werkübersicht im Jahre 1996 die Sprechweise des Künstlers. Auf diese Form des Sprechens wird noch später ausführlich Bezug genommen.

Beuys entwickelte, aus heutiger Distanz betrachtet, parallel zu seinem Oeuvre auch ein komplex inszeniertes Selbst-Verständnis von Kunst und eine vielfach hintergründig wirksame Semantik künstlerischen Schaffens: es ging dem Künstler um einen sorgfältig auf Authentizität, Einzigartigkeit und „Rätselbildhaftigkeit“[2] aufgebauten und nach Außen gewendeten inneren Kosmos ästhetisch materialisierter Ideen, dessen von vielen immer wieder hervorgehobener Geheimnischarakter einen gleichsam konstant tönenden Generalbaß bildete. Wenn Beuys seit seinen Aktionen der sechziger Jahre eine weitgehende Erkundung und existenzielle Erfahrung seiner „Selbst als Kunst“ (Carl-Peter Buschkühle) unternahm, so soll im folgenden nach jener rätselhaft-geheimnisvollen „Redeweise“ gefragt werden, die sich im Leben und Werk von Beuys so einzigartig materialisierte.

Heute stellt sich verstärkt die Frage nach der Bedeutung des Redens von Beuys und unserem Reden mit dem Beuyschen Werk: in welcher Weise spricht heute das Werk von Joseph Beuys mit seinen Betrachtern? Wie nähert man sich heute seinen Ideen, die er einerseits mit einem zwar dialogischen Anspruch kommunizierte, seine Redeweise gleichzeitig auch eine unübersehbare Tendenz zu einem Monologisieren mit Gegenbildern verriet?

Eine zentrale Frage ließe sich so formulieren: Wie läßt sich das Schaffen von Beuys als ein performativ inszeniertes Handeln, als eine, aus der scheinbar paradoxen Wechselbeziehung von werkbezogenem Reden und werkgebundenem Schweigen entstehende, rhetorische Kommunikation mit der Kunst verstehen? Beuys, so lautet die im folgenden entwickelte These, praktizierte ein Ineinander von werkbezogenem Reden und betrachterbezogenem Schweigen - ein Ansatz, mit der sich die Beuyssche Rhetorik des Rätselhaften entschlüsseln um nicht zu sagen entmystifizieren läßt. Vergleichbar mit der im späten XX Jahrhundert vielverbreiteten Konzept des Bildes als einem Ort mystischer Selbst-Erfahrung (Mark Rothko notierte etwa „Bilder müssen wie ein Wunder sein: In dem Augenblick, in dem eines vollendet ist, endet die Vertrautheit zwischen dem Geschaffenen und dem Schöpfer“) arbeitet Beuys mit einer in das Werk hingetragenen Unbestimmtheitserfahrung: beispielsweise mit der durch das Werk evozierten und den Betrachter provozierenden Erfahrung des Schweigens.

Geheimnisvolle Größen

Im gesamten Werk von Beuys kann man erkennen, wie der Aspekt des Schweigens, das seine Arbeit implizit vermittelt, mit einer zweiten, komplementären Größe zusammenhängt: mit dem Geheimnisvollen. Eine frühe Zeichnung aus dem Jahr 1950(!) trägt bereits den Titel „Die Geheimnisse.“2a  Unter einem torbogenartigen Eingang thront eine stilisierte Gestalt mit weitausladenden Flügeln; die Himmelszone wird durch eine strahlende Sonne und stilisierte Sterne geprägt. Alles in dieser Zeichnung wirkt verschlüsselt und auf eine vielfache Weise als ein geheimnisvolles Rätselbild gestaltet. In seiner überdeterminierten Fülle von Einzelelementen wirkt dieses frühe Blatt so, als wollte sich Beuys selbst jener Wirklichkeit versichern, in der er vielfältig ineinander übergehende geheimnisvolle Größen am Werk sah, die er im Moment seiner Darstellung nur imaginär realisierte. Schon hier kündigt sich der Modellcharakter der Kunst von Beuys an.

Eine späte Bestätigung  für Beuys´ Orientierung am Geheimnisvollen ist die Publikation des Kompendiums mit dem Titel Beuysnobiscum, in dem stichwortartig die für Beuys zentralen Begriffe in ihrem jeweiligen werkbezogenen Kontext für ein weniger kundiges Publikum erläutert wurden. Mit Publikationen dieser Art wurde dem vom Künstler angestrebten Status einer Einzigartigkeit nicht nur entsprochen, sondern noch um ein Vielfaches gesteigert; der vom Künstler ins Werk gesetzte und vom Publikum immer wieder wertgeschätzte Geheimnischarakter vieler Werkideen von Beuys bildete im Laufe der Zeit eine zentrale Prämisse vieler Beuysinterpreten und ihres Sprechens über das Phänomen des zur historischen Leitfigur avancierten Künstlers.

Beuys arbeitete sehr bewußt mit der „alten“ Tradition des Geheimnisvollen[3] - eine Tatsache, die Beuys offensichtlich auch in seiner evokativen Sprache reflektierte, wobei sich, so der Künstler, der Rätselcharakter des Kunstwerks und die Logik des Menschen nicht notwendig ausschließen würden.[4] Beuys war, ähnlich wie sein imaginärer Mentor Rudolf Steiner, Urheber und authentischer Vermittler seiner aus vielen Quellen und Traditionen gespeisten ästhetischen Rhetorik. Manuela Göhner hat auf diesen Kontext einer „Rhetorischen Ästhetik des Gesamtkunstwerks“ hingewiesen. Beuys, so die Autorin, maß der Aktivierung seiner Ideen durch die eigene Rede einen hohen Stellenwert bei: „Beuys Beitrag zur Eröffnung der documenta VI  im Jahr 1977 erfolgte in einer fünf Minuten langen freien Rede, die über Satellit gesendet wurde. Diese betrachtete er ebenso als „Kunstform“ wie das 100tägige öffentliche „Redestehen“ während der documenta-Ausstellungen der 6. documenta“[5]. „Kunst“ entfaltete sich für Beuys seit den späten sechziger Jahren wesentlich auch unter performativen Vorzeichen: im Prozeß eines Sprechens, Denkens und Schweigens, das eigenständiges Nachdenken im Betrachter und Leser zu provozieren suchte. Schon seine berühmt gewordene Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“(1965) arbeitete mit dem Widerspruch von der im Titel angekündigten „Erklärung“ und dem realen Schweigen, mit dem Beuys die Aktion durchführte.

Wie Dieter Koepplin und Franz-Joachim Verspohl[6] (im Anschluß an den von Beuys selbst verwendeten Begriff) formulierten, existierte für den Künstler ein früh ins Werk gesetzter Parallelprozess zwischen Bild und Sprache, zwischen Artikulieren und Reflektieren innerhalb des ästhetischen Produktionsprozesses. Im folgenden geht es mir um den historischen Kontext, in dem Beuys auch mit sprachlichen (bzw. rhetorischen) Mitteln sein Werk begleitete, seine Arbeitsmethodik reflektierend elaborierte und damit auch um die Frage, wie Beuys sein Werk als Teil seiner plastischen Theorie „versprachlichte“ und sein Kunst kommentierendes Reden als immateriellen Prozess und ästhetisches Erkenntnismedium begriff.[7] „Wenn ich spreche, kann ich vom Denken her sehen, dass ich in die Umwelt eingreife, durch das Sprechen. ( ...) wenn sich meine Sprache durch Schallwellen fortpflanzt und ein Gegenüber erreicht, wie ich, ist es physisch auf den anderen gegeben. Als Informationsmaterial. Das ist jetzt die Luft, oder das sind die Schallwellen oder es sind die Steine, die ich werfe oder es sind die Zeichen, die ich gebe und die erreichen die anderen.“ [8] Aber trotz aller Rhetorik des elementar-ursprünglichen Offenbarens und Offenlegens durch den Kommentar des Künstler gilt: gerade auch das Schweigen und das Nicht-mehr-Weitersprechen, das Innehalten und Verstummen angesichts des Rätselhaften, Erschreckenden und auch seines eigenen Selbst gehörte zu den (un-)ausgesprochenen Strategien seines Werk. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Beuys kaum von anderen Künstlern des 20. Jahrhunderts, die eine ähnliche Ästhetik des Unausge-sprochenen und indirekt Vermittelten etalblierten - zu denken ist dabei vor allem an Künstler wie Marcel Duchamp und John Cage, die für Beuys als Orientierungsgrößen dienten. Beuys wäre nicht Beuys, wenn er die letzten Geheimnisse (Beuys) seiner Biographie und Ästhetik direkt und nicht-fiktiv formuliert hätte. Noch in seiner letzten, kurz vor seinem Tod gehaltenen Rede im November 1985 deutete er - bei aller scheinbaren Offenheit - vieles in Andeutungen an und hielt vieles anderes - ebenso bewußt - in einem unbestimmten Hintergrund.

Ein nicht unbedeutender Teil des Einflusses, den das Werk und die Person von Joseph Beuys bis in die heutige Gegenwart ausübt, ist der Tatsache zu verdanken, dass Beuys sehr früh daran arbeitete, seine ästhetische Sicht der Welt in Form von imaginierten Figurationen, Konstellationen, Übergangssymbolen, allgemein in rätselhaft verschlüsselten Metaphern menschlicher, tierischer und vegetabiler Existenz formulierend zu demonstrieren. Hiermit gelang ihm - unter den Bedingungen herrschender Kunst-Kommunikation - einander Widersprechendes: Sowohl eine Form von Verschlüsselung als auch eine Art der Entgrenzung seines Selbst. Seine Biographie verwandelte sich in Kunst, indem er seine Ausdrucksweise buchstäblich in die Gestalt und Gestaltung mit unpersönlichen aber beziehungsreichen Materialien überführte. Parallel dazu bemühte sich Beuys darum, allgemein den Prozess der geheimnisvollen (An-)Verwandlung seines Arbeitens hervorzuheben, der sich, so der Künstler, auf der Betrachterseite durch eine unbestimmte Gegenbild- Erfahrung materialisiere - ein Prozeß, den Beuys thematisierte, indem er diesen in paradoxe Beziehungen darstellte.  „Meine Darstellung ist natürlich eine Imagination äußerte Beuys. Er erklärte damit den Kontext seiner Aussage indem er diesen gleichzeitig verrätselte. Eine Wechselwirkung tritt in Kraft: während Beuys so die Bewußtsein schaffenden und erweiternden Aspekte seiner Kunst betonte, so erfährt der Betrachter die Kommunikation mit der Kunst von Beuys innerhalb einer Situation, die sich in ihrer inneren Paradoxie offenbart. Diese paradoxe Kommunizieren des Geheimnisvollen wurde später zu zentraler Bestandteil der Rezeptionsgeschichte von Joseph Beuys. So äußerte Ute Klophaus[9] in anderem Kontext „Seine Geheimnisse wollten nicht, dass sie ihm [Beuys] entrissen und sichtbar ans Licht gebracht werden könnten. Er wollte nicht, dass aus seinem Schweigen, das ihm gehören sollte, Sprache wird [...]“. Damit erneuerte sie demonstrativ und bewußt  den Geheimnischarakter des Beuysschen Arbeitens.

Selbstpräsentation - Einzigartigkeit

Beuys verkörperte wie kein Zweiter den authentischen Kommunikator seines eigenen, reflektierenden Formulierens ästhetischer Hervorbringungen. Im seinem Werk äußert sich gleichzeitig früh der Versuch, seine Biographie als Ergebnis einer sein Werk fiktionalisierenden Darstellung auszuweisen. Ereignisse und Erfahrungen seines Leben nicht im Kontext seines Werkes zu sehen, scheint für Beuys im Laufe seines Lebens immer unvorstellbarer geworden zu sein. Der 1964 von Beuys verfaßte, erklärtermaßen bildhaft gemeinte Lebenslauf/Werklauf ist dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte Ereignisse als verfremdete, rätselhafte Orte eines historisch Imaginären dargestellt werden.[10] Beuys hat seine einzigartigen, verschlüsselten  Aktionen seit den sechziger Jahren nicht nur im Rahmen einer häufig monologisch angelegten Kunstkommunikation[11] inszeniert, sondern pflegte immer auch eine durch hochgradig forcierte Einzigartigkeit[12] vermittelte Ausdrucksweise, mit der, so die Künstler-Selbsteinschätzung, ein scharfes Ich-Bewusstsein (Beuys) entwickelt wurde. An dieser Stelle muß nun auf einen strukturellen Aspekt neuzeitlicher (Künstler-)kommunikation aufmerksam gemacht werden, der scheinbar sehr vermittelt etwas mit dem Werk von Beuys zu tun hat.

An dieser Stelle muß nun auf einen Aspekt allgemeiner Kommunikationstheorie aufmerksam gemacht werden. Denn Einzigartigkeit ist als zentrale Qualität gerade auch künstlerischer Produktion nicht ohne weiteres kommunizierbar: „Einzigartigkeit ist in einem sehr präzisen Sinne inkommunikabel. Jenseits von Kommunikation mag sie statthaben oder nicht; soll sie kommunikativ präsentiert werden, hebt sie sich kommunikativ auf, ..... Die einzige Konsequenz, die aus dem Einzigartigkeitsparadox zu ziehen wäre, ist Schweigen“[13] resümierten 1989 die Soziologen Peter Fuchs und Niklas Luhmann. Schweigen ist kein einfaches Schweigen, sondern eine komplexe Form der Kommunikation mit der Gesellschaft: „ (... )in Wirklichkeit ist „Schweigen“ ja keine Operation, die außerhalb der Gesellschaft faktisch vollzogen wird, sondern nur ein Gegenbild, das die Gesellschaft in ihre Umwelt projiziert ( ...) in dem die Gesellschaft zu sehen bekommt, dass nicht gesagt wird, was nicht gesagt wird“[14]

Beuys, der seit den späten 60er Jahren die zentrale Gestalt eines charismatisch Einzigartigen im westdeutschen Kunstbetrieb einnahm, reagierte auf dieses „Einzigartigkeitsparadox“ auf seine Weise. Konkreter gesagt: einerseits inszenierte Beuys die Evolution seines Schaffens als einzigartiges Kommunizieren mit, durch und in seinen spezifischen Themen, Materialien und „individuellen“ Mythen, andererseits entzog er dieser Kommunikation immer auch ein gewisses Maß an Substanz, indem er (häufig unterschwellig) an den Geheimnis- und Rätselcharakter seiner Arbeiten erinnerte - wodurch notwendig eine paradoxe, doppelte Kommunikationslogik - ein Sprechen in und mit seiner Kunst - offenbar wurde. Beuys antizipierte, so gesehen, auf dem Feld der Kunst eine Art kunstvoller Kommunikation, deren komplexe Wirklichkeit Jahre später in den angewandten Sozialwissenschaften differenziert realisiert wurde. „Wer schweigt, kann immer noch reden. Wer dagegen geredet hat, kann darüber nicht mehr schweigen. Im Reden wird Kommunikation Ereignis, das dann (...) Kommunikation zum Weiterlaufen zwingt. Im Schweigen wird über diese Möglichkeit nur reflektiert (Hervorh. M.K).“[15] Auf unseren Zusammenhang bezogen formuliert, ließe sich folgendes präzisieren: Schweigendes Betrachten von Kunst schließt im Fall von Beuys ein Reden mit der Kunst nicht aus - im Gegenteil. Beuys´ Reden bildete eine Seite seiner Kunstkommunikation, mit der der Künstler ins Bewußtsein rief, dass sein Werk ein hintergründiges Schweigen als abwesende Beziehungsweise mitkommunizierte. Das Schweigen von Beuys bildet einen Grundzug seiner selbst-bezogenen Künstlerkommunikation - bis heute ist es unterbewertet.

Mit dem Phänomen des Schweigens erscheint nun auch der Charakter des Geheimnisvollen bei Beuys in einem neuen Licht. Komplementär zum Schweigen thematisiert ein Geheimnis, mit Niklas Luhmann gesprochen, die wechselseitigen Optionen sowohl im Schweigen das Reden als auch im Reden das Schweigen mitkommunizieren zu können - ein weitreichendes Doppelphänomen kontingent gewordener sozialer Kommunikation, dessen innere Widersprüchlichkeit Beuys selbst sicherlich entgegenkam - später aber auch den „Freuden der Interpretation“ kunsthistorisch versierter Betrachter nicht unerheblichen Vorschub leistete.

Schweigen und Sprechen

Dass den Kunst-Kommunikator Beuys dabei auch das Schweigen von Marcel Duchamp, konkreter gesagt die mangelnde Bezogenheit menschlicher Aktivitäten im Bereich ästhetischer Fragestellungen, nachhaltig provozierte[16], zeigt, wie sehr sich Beuys nicht nur vom Einfluß des Namens DUCHAMP und seinen Antikunst-Werken herausgefordert fühlte, sondern zugleich, wie er der Paradoxie eines „beredten Schweigens“, das Duchamps so erfolgreich kultivierte, seinen eigenen Kunst-Diskurs entgegensetzte, der gerade gegenteilig ein im Medium der Kunst materialisiertes „Reden“ (über die Kunst, den Menschen, die Gesellschaft) in die Welt ausstrahlte. Daß Schweigen ein notwendig selbstwidersprüchliches Element der Kommunikation und damit auch der Kunst17 werden mußte, zeigte sich an der Art und Weise, wie Beuys seinem großen Widersacher Duchamp begegnete: Beuys erzwang auf seine Weise die seinerzeit spürbare schweigende Abwesenheit von Duchamp zum „Sprechen“ zu bringen - indem er das Schweigen Duchamps 1964 im Fernsehen als Problem problematischer „Kommunikation“ mit der Kunst thematisierte. Beuys fand dieses Schweigen bekanntlich überbewertet - was auch die Frage provoziert, wie Künstler und Betrachter dieses eigentlich angemessen bewerten können. Das Schweigen Duchamps wurde übrigens einige Jahre später erneut Thema einer Reflexion von Nichtkommunikation: Acht hintereinander positionierte Plexiglasscheiben, die Wortfetzen transparent un-sichtbar machen, tragen den Titel „Not Wanting To Say Anything About Marcel“. Das Werk aus dem Jahr 1969 stammt von John Cage und Calvin Sumsion.

Später bestand Beuys explizit auf einem durch die Kunst selbst generierten und vom Betrachter zu erfahrenden Geheimnischarakter; er notierte nicht ohne mehrfachem Hintersinn im Kontext seiner Installation „Richtkräfte“ „Make the secrets productive“18 In beiden Fällen arbeitete Beuys mit dem Schweigen und dem Geheimnis, dessen Aufeinanderangewiesensein Beuys unnachahmlich und produktiv verwertete. Das Schweigen war offenbar für Beuys auch eine Möglichkeit, sich permanent wieder neu selbst zu überraschen.

 Kommunikation und Nichtkommunikation bildeten bei Beuys keinen Widerspruch sondern eine sich gegenseitig bedingende Erweiterung des jeweils einen im Hinblick auf das andere. Wie der Tod bildet das Schweigen 19 im Werk von Beuys einen Bereich, der - unterschwellig arbeitend - Provozierendes erhellt.

Auch heute ist man überrascht zu sehen, wie häufig und zu wieviel Themen sich Beuys öffentlich äußerte; je mehr der Künstler in den späten 60er Jahren zum ersten Medienstar des westdeutschen Kunstbetriebs nach 1945 avancierte und er selbst das entstehende Mediensystem für seine Zwecke benutzte, desto intensiver diskutierte und formulierte er dort seine Ideen eines sozialen Kunstbegriffs. Im Kontrast dazu ist es mehr als auffällig, dass gerade seine späteren Installationen wie „Feuerstätte“, „Das Ende des 20. Jahrhunderts“, „Hinter dem Knochen wird gezählt - Schmerzraum“ und „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ Arbeiten darstellen, deren innere (und äußere) Distanz und Fremdheit die Betrachter in ein eigenartiges Stadium der „Sprachlosigkeit“ 20 hineinziehen und diesen eine Art ästhetisch bewirktes , nachträgliches „Schweigen“ aufzuerlegen scheinen.  Schweigen kann, wie aus der zwischenmenschlichen Kommunikation durchaus bekannt ist, als eine wirksame Art der Machtausübung, im Extremfall als eine „passive Aggression“ 21 verstanden (und eingesetzt) werden. Im Rahmen von Kult und Kunst gehört das im Bild anwesende Schweigen selbst zu einer grundlegenden Erfahrung des neuzeitlichen (Bild-)Betrachters. Das Phänomen einer allen frühen Bildformen konstitutiven Stummheit entspringt, wie Hans Belting 22 kürzlich in einer grundlegenden Studie über „Bild und Körper in den Anfängen“ gezeigt hat, einer sehr frühen Vorstufe einer rituellen Bildpraxis, die darauf angelegt war, die mit Stummheit verbundene Erfahrung von Abwesenheit, in der die Anwesenheit des toten Körpers wie auch des anwesenden Bildes ursprünglich und paradox miteinander verschränkt waren, zu überwinden. Im bildorientierten Totenkult sei, so Belting, diese Doppelheit in einem symbolischen Bild-Körper zum „Leben“ gebracht worden, indem sie vom Menschen und späterem Betrachter in einem erneuten Akt der Animation verlebendigt worden sei. Die ursprüngliche Magie des Bildes habe sich, so Belting, in eine vergegenwärtigende Kraft der „bildhaften Erinnerung“ verwandelt, die im Laufe der Entwicklung vollständig auf den Betrachter übergegangen sei.

Beuys wiederholt diese dramatische Erfahrung der An- und Abwesenheit des Bildes (und seiner späteren Verwandlung durch den Betrachter) auf der distanzierteren Ebene einer ästhetischen Raumerfahrung, die an die Reflexion des eigenen Sprachgebrauchs gebunden ist. Gerade das, was Beuys lebenslang praktizierte - das den Betrachter aktivierende, an Rituale erinnernde Beschwören, der permanente Versuch, das Moment des Dialogischen in und mit seiner Kunst zu suchen und zu (er-)finden - wird dem Betrachter bei der Begegnung mit Beuys´ späten Installationen offensichtlich wieder bewußt entzogen oder zumindest sehr stark erschwert - Beuys redet indem sein Werk schweigt.

Ein Selbstwiderspruch wird hier deutlich, der inzwischen in der heutigen mit kontextuellen Strategien vertrauten Avantgarde häufig anzutreffen ist. Beuys unterbricht auf der Seite des Werkes die Kommunikation, um sie dadurch - sozusagen als ihr Gegenbild auf der Seite des Betrachters  - um so intensiver zu provozieren. Das im Werk von Beuys provozierende Schweigen und die damit verbundene Aura des Rätselhaft-Distanzierten ist einer von vielen roten Fäden, die uns das Werk von Beuys nachhaltig offenbart. Auf das vielbeschworene „Schweigen“ in der Zeit nach 1945 reagierte Beuys in seinem Spätwerk mit Erscheinungsweisen und Material-Atmosphären, in denen sich das Schweigen als Raum für Nichtgesagtes nachhaltig materialisieren konnte.

Sprechen  - Schweigen: nach 1945

Im Frühwerk spielt bei Beuys das bewußte Aus-Sprechen und Artikulieren von Gedanken-(erweiterungen) schon eine Rolle. Das Thema des Denkens spielt bei Beuys bis in die achtziger Jahre eine Rolle. 1953 zeichnete er einen markant schraffierten Kopf, aus dessen Mundregion ein stark konturiertes längliches Gebilde erwächst, das offensichtlich ursprüngliche menschliche Sprach- und Welterfahrungen symbolisieren soll - das Werk trägt den Titel  „Die Sprache“.23 Ähnlich wie Beuys, im Kontext von ähnlichen Überlegungen Rudolf Steiners inspiriert 24 in vielen Werken den physiologischen Vorgang der Lautartikulation als evolutionäres Stadium auf dem Weg zu einem sich selbst befreienden Denken und ästhetischen Wahrnehmen häufig metaphorisch als geistigen Erweiterungsprozess darstellte, gleichzeitig aber auch nicht zögerte, apodiktisch, zeitgeistmäßig und schlagwortartig zu sprechen 25 so macht der Betrachter vor einzelnen Werken immer auch Erfahrungen, die sein lebendiges Sprachvermögen herausfordern. Wie Max Reithmann schreibt, war Beuys davon überzeugt, über das eigene “(...) - Verlebendigt werden durch Sprache26 einen Heilungsprozeß in Gang zu setzen. So war es nur folgerichtig, dass Beuys behaupten konnte: „Ich gehe zurück auf den Satz: Im Anfang war das Wort. Das Wort ist eine Gestalt. Das ist das Evolutionsprinzip schlechthin.“ 27 Erst nach dem Tode von Beuys wurde erkennbar, dass sein Anspruch, (über die Evolution seines Kunstbegriffs) zu Denken und zu Sprechen, nicht nur Utopie war. Möglicherweise ist das von Beuys permanent realisierte Mit-Sprechenwollen und Diskutierenmüssen auch als Reflex auf die reale Sprachlosigkeit und fehlende Selbstheilungskraft der Nachkriegsgeneration zu bewerten.  In diesem konkreten Sinne hat Beuys wohl mit und durch die Arbeit von Beginn an eine ästhetisch reflektierte Heilung von erlittenen „Wunden“ und Traumata betrieben, für die in der Zeit nach 1945 noch längst kein Bewußtsein vorhanden war.28

Das Werk von Beuys erscheint heute als nahezu unüberschaubarer Kosmos, dessen Schöpfer an einer Form ästhetischer Kosmologie arbeitete, in der Geheimnisse und Realien, Fiktionen und Imaginationen, Biographisches und materiell Anverwandeltes ein zum Teil unlösbares Amalgam bilden. Auch Beuys war dabei wohl, wie Antje von Graevenitz kürzlich über Yves Klein treffend geschrieben hat, ein „Fährmann des Immateriellen“29 Versteht man die spürbare Leere, die der Tod von Beuys für viele seiner Weggefährten hinterließ, als einen mythischen Raum einer von Beuys angestrebten anthropologischen Kunst, in der sich eine permanente Welt- und Selbstbildung 30 der beteiligten Akteure ereignet, so erscheint das so häufig offensichtlich Verschwiegene und das rätselhaft Offenliegende bei Beuys heute nach wie vor als wirksamer Impuls, den Intentionen des Künstlers, aber auch den historischen Bedingungen seiner und unserer Zeit gerecht zu werden - was auch heißen könnte, die heute erkennbaren Spannungen im Werk von Beuys zu erkennen.

„Begriffe und Ideen müssen wir hervorbringen wenn wir sie erleben wollen“, notierte Beuys im Jahr 196531 und formulierte damit den (alten) Zusammenhang von Sprache und Bewusstseinserweiterung in einer (neuen), den kommunikativen Kontext selbst thematisierenden Perspektive. Auch auf die Semantik vom Reden und Schweigen 32 - zumal über das Reden und Ver-Schweigen nach 1945 - läßt sich diese Einsicht von Beuys sehr wohl übertragen. Auch wenn Beuys, wie er selbst formulierte, der „Schuldfrage“ nach 1945 „nicht ausgewichen ist“33 , so lassen sich in seinem Werk immer wieder auch einerseits Symptome des Geheimnisvollen, Mehrdeutig-Verschwiegenen und des gleichsam prophetisch-offenbarenden34 „Redens“ andererseits finden. In der Antike bildete die Geheimhaltung eine wesentliche Voraussetzung zur Realisierung der Mysterien, die eine Kommunikation zwischen Menschen und Göttern gewährleistete35 - an diese magische Tradition knüpfte Beuys als schamanistisch agierender Vermittler von inneren Kräften an, der, so zumindest in Beuys´ stilisierter Selbstinterpretation, nur hinhören mußte, um Botschaften zu empfangen: „Wir haben doch tatsächlich sehr hilfreiche Wesen um uns, die uns also durch ihre Sprache belehren und informieren. Ich brauche nur hinzuhören, was die mir sagen und dann bringe ich es in ein Gefüge hinein und siehe da, es steht auf dem Papier. Man nennt es dann die Arbeit von Beuys.“36 Beuys bestand - ganz in der Tradition des Magiers - darauf, dass bei der Frage,  „wieviel Kooperation von anderen Kräften“ in der Welt bei seiner Arbeit beteiligt war, das „letzte Geheimnis“ der Kunst zur Sprache komme und er sich selbst eher in der Rolle des mitformulierenden Mediums denn des autonom schaffenden Künstlers sah.

Sprache = Bewusstsein=Kunst

Für Beuys war Sprechen als eine Art gestaltendes Artikulieren alles andere als ein bloßer Informationsaustausch (und das obwohl er immer wieder quasi technische, informations-theoretische Aspekte37 zur Sprache formulierte!): „Sprache ist materiell, denn sie benutzt ja die eigene Körperlichkeit. Sie transportiert sich zwischen Sender und Empfänger mittels Schallwellen. (Sie hat die) Funktion als Klanggebilde, vollkommen autonom, vollkommen unabhängig davon, ob jemand den semantischen Inhalt versteht oder nicht (...). Aber auf jeden Fall ist Sprache an sich selbst für mich natürlich auch Musik. Und ein wissenschaftlicher Vortrag könnte auch Musik sein. (...) das ist immer eine Frage des Bewußtseins.“38

Die Untersuchung performativer Funktionen in der Kunst39 ist ein lange von der Kunstgeschichte vernachlässigtes Gebiet; das „allmähliche Verfertigen von Gedanken“(H. Kleist) und das hier und jetzt formulierte Aus-Sprechen dieser Auseinandersetzung im Medium der Kunst beinhaltet eine bislang wenig beachtete Dimension Kunst vermittelnder Sprachpraxis. Kommen wir noch einmal auf den anfangs bei Beuys herausgestellten Geheimnis-Chrakter zu sprechen. Heute läßt sich das von Beuys beschworene Geheimnis nicht nur als prägende Folie seiner ästhetischen Produktion, sondern vielmehr auch als Leitmedium zwischen einer Kunst der Darstellung und sprachlichvermittelten Form der Inszenierung begreifen, als eine Form des doppelten „Sprechens“ durch und mit einer bestimmten Form ästhetisch angewandter Rhetorik.

Reden und Schweigen gehört (wie Fragenstellen und Antwortenmüssen) im öffentlichen Raum heutiger, medialisierter Kunst und Politik inzwischen zu einer häufig auch indirekt eingesetzten Kommunikation von sprachlich vermittelter, rhetorischer Selbstbehauptung, -profilierung und

-präsentation. Heute muß scheinbar über alles geredet, muß alles in Frage gestellt und darf über nichts mehr geschwiegen werden - es herrscht, wenn man so formulieren will, der totale Zwang zur Kommunikation. Die Tatsache, dass zwischen dem Redenkönnen und dem Schweigenlassen wechselseitige ästhetische, historische und sachliche Allianzen und Widersprüche bestehen, hat keiner mehr gespürt als Beuys selbst. „Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“, notierte Beuys am 7.11.1979 mit einem Griffel auf eine kleine Schultafel. Das Mysterium  <Kunst>  ähnelt dabei den verschlungenen Wegen, die der Betrachter selbst finden muß, um gerade auch den immateriellen (d.h. rhetorischen und diskursiven) Zwischentönen des „Sprechens“ und „Schweigens“ in der Kunst bei Beuys näherzukommen - und nicht primär ikonographisch sichtbare Details einer werkimmanenten „Beuysologie“40 zusammenzustellen. In seiner 1985 gehaltenen letzten Rede kam Beuys mehrfach auf den Sprachaspekt seines Werkes zu sprechen: es hieß dort u.a.: „wenn ich jetzt so etwas [nämlich: erkenntnistheoretische Begründungen. MK] feststelle, dann sage ich nicht, man muß daran glauben, nur, jeder soll mal in sich hineinschauen, jeder soll mal tatsächlich in sich als Sprache bewegen, was das Fühlen und Denken entwickelt, das denken zurückwirken läßt auf den Willen und der Wille auf die Sprache wirkt, sodaß ein immer höherer spiraliger Vorgang entsteht, in dem ein scharfes Ich-Bewußtsein entsteht, ein Selbstbehauptungswille ja in jedem Menschen entstehen muß.“41

Sprach-Kunst

Manuela Göhner zieht in ihrer Arbeit über die Rhetorische Ästhetik des Gesamtkunstwerks: Joseph Beuys am Ende eine Schlußfolgerung: „Die Untersuchung von Werken der bildenden Kunst als Rede eröffnet dem Bereich der Kunstwissenschaft die Möglichkeit alte Fragestellungen neu zu entdecken,(...) indem sie deren Funktionen der Vermittlung ästhetischer Erkenntnis als ihre lebensweltliche Bedeutung herausstellt.“42 Wie in dieser Untersuchung zum Reden und Schweigen bei Beuys erkennbar wurde, geht es mir auch um die wechselseitigen Abhängigkeiten, die zwischen den einzelnen Mustern einer rhetorisch reflektierten „Sprach-Kunst“ entstehen. Eine ´Rede` im Kunstkontext realisiert sich, wie auch bei Beuys erkennbar ist, nicht mittels einer vordergründigen Selbstdarstellung und in/mit fertig formulierten Aussagen, sondern mit offenen Beziehungen zu vorhandenen Problemaspekten und Fragestellungen, mit denen der Sprachgestalter Beuys bewusstmachend handelte. In diesem Fall entwickelt sich für den Künstler aus einer bestimmten Suche nach „wahrer“ Erkenntnis ein mehr erprobend-formulierendes Finden von Zusammenhängen. Inwieweit dabei die in den sechziger Jahren aufbrechende Diskussion über „Das Öffentliche Schweigen“43 der nationalsozialistischen Vergangenheit auch Joseph Beuys beeinflußt hat, soll hier nur als Frage aufgeworfen werden.

Für Beuys war jedenfalls die Vorstellung eines Schweigens angesichts von dringenden gesellschaftlichen und ästhetischen Problemlagen derart unvorstellbar beziehungsweise unakzeptabel, dass er das Schweigen selbst als Symptom begriff. Im Kontext der Aktion „Infiltration Homogen für Konzertflügel, der größte Komponist der Gegenwart ist das Contergankind“(1966) äußerte er zur verwendeten Kreuzessymbolik: „Die Verbindung zur menschlichen Position ist durch die zwei roten Kreuze markiert, die Gefahr bedeuten: die Gefahr, die droht, wenn wir schweigen und den nächsten evolutionären Schritt zu tun versäumen (Hervorh. M.K.)“.44 Bezeichnenderweise verfremdete Beuys gerade das Sprach- und Bildmedium des 20. Jahrhunderts - den Fernseher - so, dass dieser nur noch im bevorzugten „Modus“ von Beuys kommunizierte: in der dämpfenden „Stummheit“ des Mediums Filz - einen unterschwellig und unmittelbar sinnlich wirkenden Eindruck, den Beuys später bei seiner Installation „Plight“ (1985) in räumliche Dimensionen transformierte. Anläßlich seiner Aktion „Filz-TV“ (1966) kam Beuys auf den Zusammenhang von Selbstdarstellung und Materialsprache seines Werkes zu sprechen. Beuys äußerte in einer stark metaphorisch aufgeladenen „Erklärung“: „Ich bin nun auch nicht mehr im Bild, nur noch mein Stellvertreter: diese Filzscheibe ....kann natürlich unter ganz radikalen neuen Bedingungen etwas entwickeln.“45 Das Material Filz wird bei Beuys auch eine rhetorisch vermittelte Substanz begriffen: das Multiple „So kann die Parteiendiktatur überwunden werden“(1971) besteht aus einer mit umfangreicher Textreflexion bedruckten Tragetasche zusammen und einem gleichgroßen Filzstück46 - der Gegensatz von Reden und Schweigen wird hier materialästhetisch inszeniert. Filz, so könnte man Beuys´ Strategie umreißen, umhüllt das Reden mit einer schützenden Hülle des Schweigens.

In seinem 1973 entstandenen Multiple „Schweigen“47 markierte Beuys schließlich 5 Filmspulen des gleichnamigen Films von Ingmar Bergmann mit anspielungsreichen, künstlerindividuell aufgeladenen Metaphern („Hustenanfall-Gletscher+ / Zwerge-Animalisierung“ / Vergangenheit-Vegetabilisierung/ Panzer -Mechanisierung / Wir sind frei GEYSIR+“), die wiederum genau dasjenige in seiner Widersprüchlichkeit offenbaren, was der Titel so verführerisch paradox verspricht. Der Betrachter muß als Kenner des Beuysschen Werkes die Metaphern sowohl lesen als diese auch zeitgleich in einen rhetorischen Kontext stellen können, um das „Schweigen“ als (geheimen) Künstlerwunsch eines Reden- und Reflektierenwollens zu erkennen zu können.

Joseph Beuys arbeitete wie kein anderer Künstler seiner Zeit an seiner Rolle als distanzierter Selbstkommentator seines (erweiterten) Kunstbegriffs - ein Konzept, das bereits in frühen Zeichnungen48 vorformuliert wird und in der Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ gipfelte. Hierin ähnelte er anderen Gesellschaftsreformer der späten sechziger Jahre, die ihre Thesen mit einer Art lustvollem „moralischen Selbstgenuß“ (so Rüdiger Safranski kürzlich in einem Rückblick auf die 68er Generation) vortrugen. Beuys betonte immer wieder das wechselseitige Verhältnis zwischen Denken, Sprechen und Gestalten als Teil seiner Praxis: „Ich zeichne oft, wenn ich spreche. Zeichnungen sind eine andere Form von Sprache. (...)“49 In seiner 1985 gehaltenen „Rede über das eigene Land: Deutschland“ betonte Beuys rückblickend erneut: „Mein Weg ging durch die Sprache, so sonderbar es ist, er ging nicht von der sogenannten bildnerischen Begabung aus“.50 Wollte Beuys an dieser Stelle vielleicht auch Rudolf Steiner seine Referenz erweisen? Hatte dieser doch 1918 in einem Vortrag in Dornach formuliert: „(...) in mir spricht sich aus die ganze Welt.“51

Die Suche nach einer die Kunst „erweiternden“ Wirklichkeit am „Ende der Moderne“(Beuys, 1985), die Beuys in und mit seinem Werk anstrebte, umfaßt auch die Formulierung von Wandlungsimaginationen (J. Beuys )52 . Das Reden in der Wirklichkeit der Kunst erzeugt nicht nur, wie Manuela Göhner allgemein formuliert, eine „zur Kunst gesteigerte Beredsamkeit“ 53 sondern umgekehrt ebenso auch eine (von Göhner größtenteils übersehene) Aura des Schweigens, den der Kunst betrachtende Mensch erfährt - auch um Zusammenhänge zwischen Rede-Kunst und Sprach-Reflexion angemessen formulieren zu können. „Wenn man über die Kunst, das heißt, wenn die Kunst die Menschen veranlaßt, Gespräche untereinander zu führen, auch mit dem Kunstwerk in einen Dialog zu kommen, dann ist es diametral das Entgegengesetzte von dem, was aufkommt, wenn danach gefragt wird, was soll das bedeuten?“54 Beuys wollte „daran arbeiten, dass Schleier durchsichtig und Geheimnisse soweit enträtselt werden, als  es dem Menschen gegeben ist“ formulierte 1988 Dieter Koepplin vorsichtig.55 Beuys selbst formulierte mit scheinbar selbstverständlicher Logik: „wenngleich ein Kunstwerk auch immer wie eine Rätselfrage vor dem Menschen stehen muß und Geheimnisse enthalten muß, in die die Menschen  sich  hin-verstehen werden, (...) muß dennoch die Logik nicht ausgeschaltet bleiben im Vollzuge diese Sache.“56 Wenn Beuys innerhalb einer Braunkreuzarbeit von 1962 notiert,  sich der Eigenfunktion57 eines (bildnerischen) Begriffs bewußt zu werden, erfährt man, wie systematisch der „intuitive“ Beuys zu reflektieren verstand.

Ist - seit dem Tod des Künstlers - nicht gerade auch Beuys´ Schweigen als ästhetische Funktion in seines Dialogs mit der (traditionellen) Kunst dauerhaft präsent? Der „Künstlerpriester“ Beuys (so Hans Belting im Jahr 1989) selbst wußte sehr genau, wie er im umkämpften Feld von ästhetischen Strategien und rhetorischen Selbst-Thematisierungen mußte, um beachtet zu werden. Beuys wußte, dass das öffentlich gemachte Werk/Bild auf die Sprache des Publikums reagierte und angewiesen war: „Wann ist es an der Zeit, dass man mit einem Bilde erscheint, das wieder anstößt, das wieder Fragen stellt“58 Beuys formulierte einmal mit entwaffnender rheinischen Offenheit: „Gerade derjenige, der versucht, sich am allerverständlichsten zu machen, ist der derjenige, der am allerwenigsten verstanden wird.- (Lachen) - Ja , das ist das Gesetz.“59

Peter Moritz Pickhaus, Autor des jüngst gesendeten Radiofeatures „Die Wahrheit als Wunderkerze“- Erinnerungen Joseph Beuys,60 kommt am Ende zu einer Schlußfolgerung, die unsere Ergebnisse ergänzen: „Zu den Antitechniken des Joseph Beuys zählte die Verrätselung als Form der Annäherung an die Mitwelt. Das Missverstanden-werden diente ihm dabei als Schutz seiner Existenz. Er war ein Gefangener der narzisstischen Paradoxie an dem, was er anderen Menschen bedeutet, selber gesunden zu wollen“61 .

Doch unabhängig ob (unbewusster) Selbstschutz oder taktisches Kalkül - heute, nach dem möglich gewordenen historischen Rückblick auf die andauernde Wirkungsgeschichte von Joseph Beuys, wird deutlich, wie in seiner Kunst die konzeptuelle „Lingualisierung“(Toni Stooss) der Kunst allmählich als Reden und Schweigen, mithin das Rhetorischwerden der Kunst selbst thematisch wird. Joseph Beuys habe, so Heiner Bastian62, auf das Ende des Schweigens nicht mit einem neuen Schweigen reagiert. Das ins Werk gesetzte Schweigen war für Beuys eine Art Provokationen im Denken zu bewirken. „  (....) ich stelle Fragen, ich bringe Sprachformen aufs Papier, ich bringe auch Empfindungs-, Willens- und Denkformen aufs Papier und versuche damit eine Anregung zu geben (...)“.63 Dem „Verschwinden des autonomen Subjekts“64, dass der Gesellschaftskritiker Beuys um 1969 nüchtern konstatierte, wird im Reich der Kunst Widerstand geleistet. So wie der Künstler-Mensch nach Ansicht von Beuys die Lösung der Rätsel in der Welt ist, so ist das Geheimnis des Schweigen das „Medium“, das den Künstler und den Menschen zum „Aus-Sprechen“ seiner utopischen Anliegen veranlaßt.


Anmerkungen

[1] Manuela Göhner, Rhetorische Ästhetik des Gesamtkunstwerks: Joseph Beuys. Oberhausen 2000, S. 76 ff.

Die Beuysforschung hat , wie Manuela Göhner bemerkt, die vielfachen Äußerungen des Künstlers nicht als eigenständige Werkkommentare aufgefaßt. Eine Ausnahme findet sich bei Armin Zweite, der Beuys´ Artikulationen vieldeutig interpretierte: „Warum Beuys als bildenden Künstler immer wieder verbal artikulierte und nicht müde wurde, seine Überzeugungen zu wiederholen (...) hängt in erster Linie damit zusammen, dass er die von ihm benutzten Begriffe nicht so sehr als Erkenntniselemente, sondern vielmehr als reale Kräfte versteht“ (zit. nach: Joseph Beuys. Natur, Materie, Form, Düsseldorf 1991, S. 14.

[2]  vgl. dazu ausf. Dieter Koepplin, Beuys aktualisiert Steiner. In: Ausstellungskat. Rudolf Steiner. Tafelzeichnungen. Württembergischer. Kunstverein, Ostfildern 1994, S. 96. Ich danke Dieter Koepplin an dieser Stelle für seine vielfachen Anregungen und die kritische Lektüre dieses Textes. Vom „offensichtlich Rätselhaften“ spricht auch Heiner Bastian im Vorwort der jüngst erschienen aus dem Nachlaß veröffentlichten „Texte 1941 - 1986“. Vgl. Joseph Beuys, Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle. Texte 1941 - 1986. Hg. von Eva Beuys, München 2000, S. 15. Bastian bezieht das Rätselhafte auf den Prozeß des Erkennens selbst, in den der Betrachter einbezogen werde und dabei auf geheimnisvolle Weise die „inneren Bereiche seines Selbst finden“ muß, „um die Ideen des Joseph Beuys weiterzudenken“. (zit. ebda.). Wolfgang Zumdick resumierte kürzlich angesichts einer Arbeit von Beuys: „gerade das Rästelhafte an ihr macht unseren Geist flüssig, macht uns innerlich lebendig, und wir erzeugen auf der Suche nach der „Geistigkeit des Kunstwerks“ selbst den Geist, auf dessen Suche wir ursprünglich gegangen sind“.(zit. nach: ders., Wie nimmt man das Geistige eines Kunstwerkes wahr?.In: Bernhard Hanel, Robin Wagner, Spannungsfeld Kunst. Stuttgart 1997, S. 55. Barbara Lange spricht in ihrem Essay „ Der Kontrakt des Zeichners: Joseph Beuys und die Rolle des Modernen Künstlers“ etwas unscharf von der „Klammer des Mystischen“, den die Beuysforschung dem Werk des Künstlers übergestülpt habe. In: Vernissage, Nr. 16, Heidelberg 2000, S. 20.

2a  Abb. in Wolfgang Zumdick,  Über das Denken bei Joseph Beuys und Rudolf Steiner, Basel 1995, S. 104.
  „Man muß etwas zeigen, was noch geheimnisvoll sein kann. Das bringt die Sinne in Bewegung, weil sie begreifen möchten.“ Zit n. Dirk Luckow, Joseph Beuys und die amerikanische Anti Form-Kunst. Berlin, 1998, S. 184. Die Rezeptionsgeschichte des Beuysschen Ouevres ist mehr oder weniger ständig an der Semantik des Geheimnisvollen orientiert. Als Beispiel sei etwa genannt: Helmut Kraft, Über innere Grenzen. Initiation in Schamnismus, Kunst, Religion und Psychoanalyse, München 1995. Kraft notiert zum Multiple „ Initiation Gauloise“1958-74 : Was dem Initanten zu Beginn geheimnisvoll erscheint, liegt nun gegen Ende der Marge wie ein klarer Plan vor ihm. ...“(S. 181).
„(...) wenngleich ein Kunstwerk auch immer wie eine Rätselfrage vor dem Menschen stehen muß und Geheimnisse enthalten muß, in die due Menschen sich hineinverstehen werden, wenn sie das vollziehen - da muß dennoch auch die Logik nicht ausgeschaltet bleiben, im Vollzuge diese Sache“ Beuys, zit. n..: Manuela Göhner (s. Anm. 1) , S. 146.
  Zit. nach Manuela Göhner, (s. Anm. 1), S. 21.
  Franz-Joachim Verspohl, Plastik=Alles: Zu den 4 Büchern aus: „Projekt Westmensch“ von Joseph Beuys. In:
Joseph Beuys 4 Bücher aus „Projekt Westmensch“ 1958, Köln-New York 1993, S. 14. Götz Adriani, Winfried Konnertz und Karin Thomas, Joseph Beuys. Köln 1994, S. 91, weisen darauf hin, dass Beuys im Jahr 1968 acht Mal programmatisch den Zusatz „Parallelprozeß“ als Teil des Ausstellungstitel verwendete.
  „Wenn ich spreche (...), versuche ich die Impulse dieser Kraft einzuführen, die aus einem volleren Sprachbegriff fließen, welcher der geistige Begriff der Entwicklung ist“ Joseph Beuys, zit. nach Martin Müller, Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt. Schamanismus und Erkenntnis im Werk von Joseph Beuys. Alfter 1993, S. 216. Beuys war als selbstreflektierend veranlagter Künstler in der Lage seine Welt sowohl in Polaritäten als auch in Zusammenhängen wahrzunehmen, in der das Sprechen notwendig ein Aussprechen dieser inneren Zusammenhänge herstellt: „ (...) jeder Mensch vollzieht permanent materielle Zusammenhänge. Er stellt immerfort Zusammenhänge her. (...) es gibt immer sagen wir mal Formprozesse“. Zit. n. Volker Harlan, Was ist Kunst? -Werkstattgespräch mit Joseph Beuys. Stuttgart 1986, S. 27. Barbara Strieder,  Joseph Beuys - Kopf und Sinne. In: Ausstellungskatalog -  Wendelin Renn (Hg.)„Pflanze, Tier und Mensch., Köln 2000, S. 135ff.
  Joseph Beuys zit. nach Robert Filliou, Lehren und Lernen als Auffuehrungskuenste.Köln, New York 1970, S. 164.
  Zit. nach: Christopher Philipps, ARENA: Das Chaos des Namenlosen, in: Katalog  Josepg Beuys ARENA, Ostfildern 1994, S. 52. Antje von Graevenitz notiert unter dem Stichwort RITUAL im Katalog  Joseph Beuys, Kunsthaus Zürich 1994, S. 281 einen ganz ähnlichen Kontext: „ Seine Rituale dienten niemals repressiven [...] Prüfungssituationen. Eher genügte ihm das Innehalten, Schweigen und Gewahrwerden.“
  „Die biographischen Dinge hätte ich nicht so gerne in der konventionellen Form behandelt, wie man sie überall liest ....“ beginnt Beuys seinen ersten Entwurf für das Konzept des Lebenslaufes/Werklauf. Zit. nach: Götz Adriani, Winfried Konnertz, Joseph Beuys. Köln 1994, S. 49.
  Man denke nur an die Semantik des Sendens und Empfangens, die Beuys frühzeitig und programmatisch elaborierte.
  Vgl hierzu ausf. Niklas Luhmann, Peter Fuchs, Reden und Schweigen . Ffm 1989, S. 145f,.
  ebda., S. 146.
  ebda., S. 16.
  ebda., S. 105.
  Antje von Graevenitz, Joseph Beuys über seinen Herausforderer Marcel Duchamp. In: Joseph  Beuys Symposion Kranenburg 1995, , S. 260 - 265.
vgl. Astrid Guderian-Driesen, Die Stimme in der Kunst. Bad Rappenau 1989, Kap.8 (Das Schweigen),
S. 108 ff.
Mario Kramer, Joseph Beuys. Das Kapital Raum 1970 - 1977. Heidelberg 1991, S. 220.
Vgl. Heiner Bastian: „Mit dem Filz verbindet sich das Schweigen[ ...]“, zit. n.: Joseph Beuys im Wilhelm-Lehmbruck.Museum Duisburg, Duisburg 1987, o. S.
Wolfgang Max Faust sprach 1990 angesichts des Darmstädter Blocks von einer „Sprachlosigkeit der Werkpräsentation“. Zit. nach Martin Müller (s. Anm. 7), S. 217.
zit. nach Uwe Herms, Stille-Schweigen-Omertà. Die Abwesenheit des Wortes. Sendung  SWR II, am 3.2.2001. ã SWR-Sendemanuskript, S. 14.
  Hans Belting, Aus dem Schatten des Todes. Bild und Körper in den Anfängen. In: Constantin von Barloewen. Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen. Frankfurt, Leipzig 1996, S. 120- 176.
Abb. in: Franz Joseph und Hans van der Grinten, Bleistiftzeichnungen aus den Jahren 1946 bis 1964, Frankfurt 1973, Abb. 56. Interessant ist, dass  Beuys frühzeitig doppelpolig arbeitet. Im Jahr 1951 entsteht etwa die Jahresgabe für den Kunstverein für die Rheinlande und Wetsfalen, die eiserne Schädelplatte, die ihrerseits auf der Arbeit Guß (Schießplatz), 1951 basiert (vgl. Schellmann, Klüser, Multiples, S. 512). In beiden Fällen fungiert der Schädel bzw. Kopf als Ort, an dem Lebens- und Todesvorgänge gleichermaßen symbolisiert werden. Letztlich, deutet Beuys damit an, daß das Entstehen und Vergehen von Bewußtseinsprozessen an die Kopfregion, das Gehirn des Menschen gebunden ist.  Zu Bedeutung der Hirn-Thematik im Werk von Beuys aus neurophysiologischer Sicht vgl. neuerdings: Detlef B. Linke, Kunst und Gehirn. Die Eroberung des Unsichtbaren. Reinbek / Hamburg 2001, S. 174f. Linke verweist auf  den gleichen Wortstamm der Begriffe HIRSCH, HORN und HIRN, deren gemeinsame Bedeutung sich auf das, „was an der Spitze liegt“ bezieht (ebda., S. 230). Offensichtlich wird hier ein Bezug zum Werk von Beuys hergestellt. Der Kopf ist unter zivilisationsgeschichtlichen und ästhetischen Aspekten betrachtet ein archetypisches  Symbol für den Weltbeginn; Menschenschädel und Himmelsschale liegen dicht beeinander - ein semantischer Kontext, den Beuys intuitiv aufgenommen hat. Vgl. zur Ikonographie und Symbolgeschichte des Kopfes in der Kunst: Kopf-Ansichten. Malerei und Plastik der 80er Jahre. Hg. von Erich Thies. Kaiserslautern / Heilbronn 1993, darin: Erich Thies, Der Kopf:  Weltenbeginn und Ende, S. 7-30.
vgl. hierzu Dieter Koepplin, Beuys aktualisiert Steiner, (s. Anm.2), S. 87 ff. sowie speziell  Rudolf Steiners Überlegungen zum Abbild des „ganzen Weltalls“ , die sich in der  Figur des Kopfes wiederholt,in ebda (s. Anm. 2), „Anthroposophie und Kunst“, S. 51ff.
Vgl. etwa: Carl Peter Buschkühle, Wärmezeit. Zur Kunst als Kunstpädagogik bei Joseph Beuys. Ffm.1997,.S. 174 ff..Vgl. auch Tobia Bezzola, Sprache. In: Ausstellungskatalog Joseph Beuys, Zürich 1994,
S. 284.
  vgl. Max Reithmann, Beuys und die Sprache, in: Joseph Beuys Tagung Basel, Basel 1991, S. 40
  ebda., 42.  In seiner Rede vom 20. November 1985 spricht Beuys dunkel von der „Genialität“ der deutschen Sprache und führt aus: „Die Sprache, die in vieler Weise tiefer den Menschen erlebbbar macht, wie die Sprache am menschlichen Bewußtsein arbeitet, wo er selbst ist, wenn er bewußt spricht und das übt, meditert, wie durch diese Sprache das Bewußtsein, das Selbstbewußtsein sich bildet[...]“. zit. nach: Joseph Beuys, Sprechen über Deutschland - Rede vom 20. Novmber 1985 in den Münchener Kammerspielen. Wangen 1995, S. 
Im Joseph Beuys-Archiv des Landes NRW stieß ich 1999 zufällig auf die Ausgabe eines Heftes der damals verbreiteten Nordwestdeutschen Hefte aus dem Jahr 1946, in der eine Hamburger Ärztin über die Heilung seelischer Kriegsschäden referierte. Dort heißt es u.a.: (....) Dieser Weg [zur Heilung.M.K.] führt den Mann, der in der kühlen, nördlichen von Verstand und Willen regierten Hälfte seines bewußten Wesens schier erstarrt war, in die warme südliche Halbkugel seiner Seele. Dort begegnet ihm seine - von ihm als weibisch und schwach verachtete- weibliche Seite, die Trägerin seines Gefühls, seiner Liebesfähigkeit, die sogenannte „anima"(...) Und er erkennt sie als lebensnotwendig zu ihm gehörig. Er erkennt, dass er ohne sie nur ein halber Mensch war, eine Eidechse mit abgehacktem Schwanz. Es vollzieht sich die innere Vermählung mit ihr, die zur Regeneration führt, zur Zeugung des neuen Menschen, der wieder vollständig und damit heil ist (...) , ebda., S. 38. Nach Auskunft der Gebrüder van der Grinten stammt das Heft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Besitz von Beuys. Vgl. zu diesem  Kontext auch den Aufsatz von Svenja Goltermann: Verletzte Körper oder „Building National Bodies“. Kriegsheimkehrer, „Krankheit“ und Psychatrie in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft 1945 - 1955. In: Werkstatt Geschichte 24, 1999, S: 83 - 98.
zit. nach J.Jäger/ P.K. Schuster, Das Ende des XX Jahrhunderts. Standpunkte zur Kunst in Deutschland. Köln 2000, S. 160.
vgl. Carl-Peter Buschkühle (s. Anm. 25), S. 89.
  zit. nach Eva Beuys (Hg.), Joseph Beuys. Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle. Texte 1941-1986,  S. 97
vgl. dazu aus Sicht der Systemtheorie: Peter Fuchs, Niklas Luhmann, Reden und Schweigen (s. Anm. 12).
So etwa in der Diskussion mit Peter Struyken. In: Beuys in Rotterdam, Museum Boymanns-van Beuningen, Rotterdam 1980, o. S.
vgl. Antje von Graevenitz, Die alten und neuen Initiationsriten. Epiphanie bei Joseph Beuys. In: Joseph Beuys Tagung Basel 1991, S. 102 - 105.
Georg Luck, Magie und andere Geheimlehren in der Antike. 112 kommentierte Quellentexte. Stuttgart 1990, S. 49 f.
Joseph Beuys, zit. n. Beuys in Rotterdam (s. Anm. 33), o.S.
zit. n. Joseph Beuys, Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle, (s. Anm. 2), S. 468 ff
Zit. nach dem Sendemanuskript von Stefan Fricke „Jeder Mensch ist Musiker“. Die akustische Welt von Joseph Beuys., Stefan Fricke. © DeutschlandRadio Berlin 2000, S. 19.
Vgl. dazu Erika Fischer-Lichte, Vom „Text“ zur „Performance“. Der „Performative Turn“ in den Kulturwissenschaften. In: Kunstforum International, Okt.- Dez. 2000, S. 61-63 sowie den Ausstellungskatalog Die Sprache der Kunst. Hg. v. Eleonora Louis und Toni Stoos. Stuttgart 1993. Das heute aktuelle Thema „Fragen in der Kunst und Kunst des Fragens“ als Modus einer speziell ästhetischen Weise des Sprechens spielt bislang so gut wie keine Rolle. Erste Ansätze hierzu finden sich hierzu im Ausstellungskatalog Jochen Gerz. Res Publica. Das öffentliche Werk 1968-1999. Stuttgart 2000, S. 22ff.
Dieser offenbar polemisch gemeinte Ausdruck stammt von Stefan Fricke (s. Anm. 38), S. 7.
zit. nach Joseph Beuys, Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle, (s. Anm.2), S. 34 f.
Manuaela Göhner, Rhetorische Ästhetik, (s. Anm. 1), S. 229.
Vgl. Walter Magass, Das öffentliche Schweigen. Gibt es Maßstäbe für die Kunst der öffentlichen Rede in deutschland. Heidelberg 1967. Diese Studie bildet eine preisgekrönte Antwort auf die 1965 von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung formulierte Preisfrage: „Gibt es Maßstäbe für die Kunst der öffentliche Rede in Deutschland?“
zit. n. Uwe Schneede, Die Aktionen, München 1994, S. 113.
zit. n. Uwe Schneede, ebenda., S. 119. Es wäre lohnenswert einmal den rhetorischen Charakter einzelner Aktionssequenzen von Beuys detailliert zu untersuchen. Die rätselhafte Eisenplatte, die sich Beuys in der 1966 aufgeführten Aktion Eurasia am linken Fuß befestigte und mit der er einer Kreidelinie entlangschritt, entstand wohl kaum aus einem Zustand schöpferischer Leere, sondern scheint mir indirekt mit Rudolf Steiners Überlegungen zur eurythmisch gestalteten Rede (R. Steiner, Herv. M.K.) zusammenzuhängen. Rudolf Steiner spricht am 4. Juli 1924 über das „Schreiten [als] Ausfluß eines Willensimpulses. (... ) Am Schreiten können wir deutlich drei voneinander verschiedene Phasen unterscheiden: erstens das Heben des Fußes, zweitens das Tragen des Fußes und drittens das Aufstellen des Fußes. Man muß sich bewußt sein, dass in diesen drei Phasen eine ganze Gestaltung zur Darstellung kommen kann. Wir haben zunächst das Heben. Dann bleibt der Fuß etwas unaufgesetzt, er bleibt getragen;( ... ) Und das dritte ist das Stellen. (...) 1.Heben: Willensimpuls  2.Tragen: Gedanke 3.Stellen: Tat“ Zit. nach Rudolf Steiner, Eurythmie als sichtbare Sprache. Laut-Eurythmie-Kurs. Dornach 1994, S. 158. In der „Eurasia“-Aktion geht es, ausdrucks-sprachlich gesehen, auch um diese elementaren Phänomene sichtbarer Körperbewegungen, in denen nach Steiner das eurythmische Schreiten (ebda. S.158) und, formal betrachtet, ein Übergang von einem inneren in einen äußeren Gestaltungsvorgang andeutend zur Darstellung kommt.
Abb. in: Jörg Schellmann (Hg.), Joseph Beuys DIE MULTIPLES. München, New York 1992, S. 81. Vgl. auch:  Heiner Bastian, Die Sprache des Spiels und die Sprache der Trauer. Über das Werk „Das Schweigen“ von Joseph Beuys. In:  Joseph Beuys. Editionen. Sammlung  Reinhard Schlegel. Berlin 1999, S. 26-28.
Vgl auch das Multipel  „Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee Nee“ (1969) (Abb. in Schellmann, Klüser, S. 55) , in welchem in einem quadratischen Filzstapel eine Tonbandkassette eingelegt ist. Material und Sprache, Filz und Worte bilden hierbei einen ebenso paradoxen wie auch sinnvoll bezogenen Kontext.
Abb. in : Joseph Beuys. A Private Collection. München 1990, S. 127, Abb. 87.
Vgl. etwa: „Bildhauer“, 1957. In: Beuys vor Beuys. Köln 1987. S. 231. (Es handelt sich um die untere Zeichnung - Bildunterschriften sind  in dieser Publikation vertauscht!).
zit. nach Dieter Koepplin, Ein Plan von Joseph Beuys auf den Tisch gezeichnet. In: Ausstellungskatalog Sammlung Speck, Museum Ludwig. Köln 1996, S. 40 (dort: Anm.4). Das reflektierend-prozessuale Arbeiten von Beuys zwischen Gestalten und Denken wird nicht zuletzt in seinen nachgelassenen Schriften und den zahlreichen, noch nicht erforschten Notizen und Notationen des Künstlers deutlich.
zit. nach Joseph Beuys, Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle (s. Anm. 2), S. 27. Beuys betont: [...]  ließ mich entscheiden für [    ] die Kunst, allerdings für eine Kunst, die mich zu inem Begriff des Plastischen geführt [    ] hat, der im Sprechen und Denken beginnt, der im  [    ] Sprechen erlernt Begriffe zu bilden,  die das Fühlen und Wollen in die Form bringen können  ... . (ebda.).
zit. nach Rudolf Steiner, Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung. Dornach 1966, S. 243. Vgl. auch: R. Steiner, Die plastische Gestaltung des Sprachlichen.Vortrag v. 2. Juli 1924. In: ders., Eurythmie als sichtbare Sprache. Dornach 1994, S. 130 ff.
zit. nach Joseph Beuys, Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle (s. Anm. 2), S. 344f.
  zit. n. Manuela Göhner, (s. Anm. 1), S. 227.
ebda., S. 193f.
Dieter Koepplin, zit. nach  Joseph Beuys. The secret block for a secret person in Irland.
München 1988, S. 37.
Joseph Beuys, zit. nach Dieter Koepplin (s. Anm. 48), S. 22.
vgl. „Abstimmen der Formen“, 1962: Abb. in.: Joseph Beuys Braunkreuz. Museum Nijmeegen 1985, S. 33
zit. nach Götz Adriani, Winfried Konnertz, Joseph Beuys. Köln 1994, S. 156.
zit. nach Manuela Göhner, (s. Anm.1), S. 226.
  Sendung am 9. Mai 2001 in SWR II, Sendemanuskript des Südwestrundfunks.
  ebda. , S. 40f.
 zit. nach Heiner Bastian (s. Anm. 46), S. 28.
Joseph Beuys 1979, zit. nach: Joseph Beuys. Zeichnungen. München 1979, S. 32
zit. nach Joseph Beuys, Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle (s. Anm. 2), S. 485